Erbe als Druckmittel für zu Lebzeiten durchzuführende Besuche
Erbe als Druckmittel für zu Lebzeiten durchzuführende Besuche
Ein Erblasser kann testamentarisch nicht bestimmen, dass seine Enkelkinder unter der Voraussetzung erben, dass sie ihn regelmäßig mindestens sechsmal im Jahr besuchen. Eine derartige Einflussnahme des Erblassers auf die Entschließungsfreiheit seiner Enkelkinder ist als sittenwidrig und nichtig einzuordnen.
OLG Frankfurt, Urteil vom 19.02.2019, Aktenzeichen: 20 W 98/18
Der Fall:
Die Beschwerdeführer sind die Enkel des Erblassers. Die Erbregelung war den Familienangehörigen zu Lebzeiten des Erblassers bekannt. Der Erblasser hatte Folgendes in seinem Testament verfügt: „50 % meines Erbes sollen die beiden Enkelkinder zu gleichen Teilen bekommen. Aber nur, wenn sie mich regelmäßig, d.h. mindestens sechsmal im Jahr, besuchen. Sollte das nicht der Fall sein, d.h. mich keiner besuchen kommt, werden die restlichen 50 % des Geldes zwischen meiner Frau und meinem Sohn aufgeteilt". Die damals minderjährigen Enkel erfüllten die jährliche Besuchszeit nicht. Die Ehefrau des Erblassers sowie der Sohn beantragten die Erteilung eines Erbscheins, der sie als hälftige Miterben ausweisen sollte.
Das Nachlassgericht hatte diesem Antrag entsprochen.
Die Entscheidung:
Die Beschwerde der beiden Enkel hatte vor dem OLG Frankfurt Erfolg. Die von dem Erblasser aufgestellte aufschiebende Bedingung, die die Erbenstellung der Beschwerdeführer von der Erfüllung einer ihnen auferlegten Besuchspflicht bei dem Erblasser abhängig macht, ist sittenwidrig und damit nichtig.
Grundsätzlich sei zwar die im Grundgesetz geschützte Testierfreiheit eines Erblassers zu gewährleisten. Es müsse möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Hier stellten sich die eingeforderten regelmäßigen Besuche der Enkelkinder als Voraussetzung für die Erlangung der Erbenstellung als sittenwidrig dar. Es sei zwar nichts gegen den Wunsch einzuwenden, seine Enkelkinder in regelmäßigen Abständen zu sehen.
In der hier gewährten Form habe der Großvater jedoch faktisch seine Enkelkinder - durch Inaussichtstellen der Erbenstellung im Falle regelmäßiger Besuche - dem Druck ausgesetzt, zur Erlangung eines Vermögensvorteils zwingend die im Testament genannten Besuchsbedingungen zu erfüllen.
Dabei seien die hier zu erlangenden Vermögensvorteile im oberen 5-stelligen Bereich auch erheblich gewesen. Der Erblasser habe über dieses Druckmittel gerade ein Verhalten seiner Enkelkinder erreichen wollen, das regelmäßig deren innere, freie Überzeugung voraussetze. Eine derartige Einflussnahme des Erblassers auf die Entschließungsfreiheit seiner Enkelkinder ist von der Rechtsordnung auch im Hinblick auf die Testierfreiheit des Erblassers nicht hinzunehmen und damit als sittenwidrig und somit nichtig einzuordnen.
Veröffentlicht von Frau Rechtsanwältin Annette Kuhl am 20.02.2019