Rechtsanwalt Geldern

Keine doppele Entschädigung bei Flugverspätung

 

Flugpassagiere, die wegen erheblicher Verspätung eine Ausgleichszahlung der Airline erhalten, müssen sich diese auf weitere Schadensersatzforderungen anrechnen lassen.

BGH, Urteil vom 06.08.2019, Aktenzeichen: X ZR 128/18 und X ZR 165/18

Die Fälle:

Es ging um zwei ähnlich gelagerte Fälle mit Abflughafen Frankfurt am Main:

Einmal um eine bei DER Touristik gebuchte Pauschalreise nach Las Vegas (USA). Da die Airline den Hinflug verweigerte, flogen die Reisenden am Folgetag über Vancouver nach Las Vegas, wo sie mehr als 30 Stunden später als geplant eintrafen. Die Passagiere verlangten vom Reisebüro neben der Ausgleichszahlung von 600 EUR pro Person Ersatz der für die beiden ersten Tage angefallenen Mietwagen - und Hotelkosten, die Erstattung einer Übernachtung in einem anderen als dem gebuchten Hotel sowie die Rechtsanwaltskosten.

Und einmal um einen Flug mit Air Namibia nach Windhoek mit anschließender Safari. Der Abflug verzögerte sich, so dass die Fluggäste ihr Reiseziel einen Tag später als vorgesehen erreichten. Auch hier verlangten die Reisenden über die Ausgleichszahlung von 600 EUR pro Person hinaus die Kosten für die Hotelübernachtung in Windhoek sowie Ersatz für eine Übernachtung in der Safari Lodge. Denn diese hatten sie aufgrund der Verspätung nicht mehr erreicht, dennoch war die gebuchte Unterkunft berechnet worden.

Wegen der Beförderungsverweigerung bzw. der Flugverspätung leisteten die ausführenden Luftverkehrsunternehmen der betreffenden Flüge Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Fluggastrechteverordnung i. H. v. 600 EUR je Reisendem. In beiden Fällen streiten die Parteien darüber, ob diese Zahlungen nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 der Verordnung auf die in der Höhe dahinter zurückbleibenden Ersatzansprüche angerechnet werden dürfen, die die Kläger auf der Grundlage der Vorschriften des deutschen Reisevertrags-bzw. Personenbeförderungsrechts geltend machen.

Das Amtsgericht hat die Ausgleichszahlungen angerechnet und die Klagen abgewiesen.

Die hiergegen gerichteten Berufungen der Kläger hatten keinen Erfolg.

Die Entscheidung:

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat hat die Entscheidungen der Berufungsgerichte bestätigt und die Revisionen der Kläger zurückgewiesen.

Die von den Klägern geltend gemachten Ersatzansprüche dienen der Kompensation von durch Nicht - oder Schlechterfüllung der Verpflichtung zur Luftbeförderung hervor- gerufenen Beeinträchtigungen, die zum einen in durch die verspätete Ankunft am Reiseziel nutzlos gewordenen Aufwendungen, zum anderen in Zusatzkosten für eine notwendig gewordene andere Hotelunterkunft bestehen. Dementsprechend handelt es sich bei den eingeklagten Ansprüchen um Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz, auf die nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 FluggastrechteVO eine nach dieser Verordnung wegen Beförderungsverweigerung oder großer Verspätung gewährte Ausgleichszahlung angerechnet werden kann.

Ob die nach nationalem Recht begründeten Schadensersatzansprüche dementsprechend um die Ausgleichszahlung gekürzt werden können oder - weil die Ausgleichszahlung wie in den Streitfällen höher ist - vollständig entfallen, richtet sich mangels gesetzlicher Regelung im deutschen Recht nach den von der Rechtsprechung zum Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. § 651 p Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB - der ausdrücklich bestimmt, dass sich ein Reisender auf seine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter denjenigen Betrag anrechnen lassen muss, den er aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung nach Maßgabe der FluggastrechteVO erhalten hat - gilt erst für ab dem 01.07.2018 geschlossene Reiseverträge und ist in den Streitfällen nicht anwendbar.

Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind und deren Anrechnung mit dem Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt. Die Ausgleichszahlung nach der FluggastrechteVO dient nicht nur dem pauschalierten Ersatz immaterieller Schäden, sondern soll es dem Fluggast ermöglichen, auch Ersatz seiner materiellen Schäden zu erlangen, ohne im Einzelnen aufwändig deren Höhe darlegen und beweisen zu müssen. Da die reiserechtlichen Ersatzansprüche im Verfahren X ZR 128/18 und die auf Verletzung des Beförderungsvertrags gestützten Ansprüche im Verfahren X ZR 165/18 im Ausgleich derselben den Klägern durch die verspätete Luftbeförderung entstandenen Schäden wie die bereits erbrachten Ausgleichszahlungen dienen, ist eine Anrechnung geboten.

Der Bundesgerichtshof hat in einem früheren Verfahren für klärungsbedürftig gehalten, ob eine solche Anrechnung dem Zweck der Ausgleichsleistung nach der FluggastrechteVO entspricht und deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 30.07.2013 -X ZR 111/12); das Verfahren hat sich jedoch anderweitig erledigt.

Eine erneute Vorlage hat der Bundesgerichtshof als nicht erforderlich angesehen, da durch Erwägungsgrund 36 und Art. 14 Abs. 5 der am 31.12.2015 in Kraft getretenen neuen Pauschalreiserichtlinie (Richtlinie (EU) 2015/2302) geklärt worden ist, dass  jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Richtlinie Ausgleichszahlungen nach der FluggastrechteVO auf vertragliche Ersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter anzurechnen sind und umgekehrt (was für das geltende deutsche Pauschalreiserecht durch die erwähnte Vorschrift des §§ 651 p Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB umgesetzt worden ist).

Damit entfällt jedoch auch für Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag und für Ansprüche nach dem bis zum 30.07.2018 geltenden Reiserecht, wie sie in den Streitfällen in Rede stehen, ein aus dem Sinn und Zweck der Ausgleichsleistung nach der FluggastrechteVO abzuleitendes Hindernis für eine Anrechnung, wie es der Bundesgerichtshof vor Inkrafttreten der Pauschalreiserichtlinie für denkbar gehalten hat.

Veröffentlicht von Rechtsanwalt Rüdiger Knechten am 07.08.2019