Kündigung des Mietverhältnisses bei alten Menschen
Der Verlust einer Wohnung für Mieter im hohen Alter (84 und 87 Jahre) bedeutet eine „Härte" im Sinne des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB
LG Berlin, Urteil vom 12.03.2019, Aktenzeichen: 67 S 345/18
Der Fall:
Die Vermieterin als Klägerin erklärte im Jahr 2015 die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs.
Die Beklagten widersprachen der Kündigung unter Verweis auf ihr hohes Alter (87 und 84 Jahre), ihren beeinträchtigt den Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache (seit 1997) und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
Das Amtsgericht Mitte (Urteil, Az. 20 C2 121/16) hat die von der Klägerin erhobene Räumungsklage abgewiesen. Die Vermieterin hat Berufung gegen das Urteil eingelegt.
Die Entscheidung:
Die Berufung vor dem Landgericht Berlin hatte keinen Erfolg. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass den Beklagten ein Anspruch auf zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 BGB zusteht.
Die Kammer hat es dabei dahinstehen lassen, ob die von den Beklagten behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich derartig erheblich sind wie vom Amtsgericht angenommen. Die Beklagten Mieter hätten sich berechtigt darauf berufen, dass der Verlust der Wohnung - unabhängig von dessen gesundheitlichen und sonstigen Folgen- für Mieter hohen Alters eine „Härte" im Sinne des §§ 574 Abs. 1 S. 1 BGB bedeute.
Die Vorschrift sei mit Blick auf den durch Art. 1 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip verkörperten und garantierten Wert-und Achtungsanspruch alter Menschen entsprechend weit auszulegen. Die Richter der Zivilkammer 67 haben es dabei dahinstehen lassen, ab welchem Alter sich Mieter auf den Härtegrund „hohen Alters" berufen können, da das Lebensalter der bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung über 80-jährigen Beklagten nach sämtlichen in Betracht zu ziehenden Beurteilungsmaßstäben hoch sei.
Die Kammer hat gleichzeitig befunden, dass das als Härtegrund eingewandte hohe Alter des Mieters auch unter Würdigung des berechtigten Interesses des Vermieters bei nicht auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruhenden Kündigungen durch den Vermieter in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses gebiete.
Eine Interessenabwägung zu Gunsten des Vermieters, grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Vermieter besonders gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile für den Fall des Fortbestandes des Mietverhältnisses geltend machen könne, die ein den Interessen des beklagten Mieters zumindest gleichrangiges Erlangungsinteresse begründeten.
Ein solches müsse in seiner Bedeutung für den Vermieter über ein gewöhnliches „berechtigtes Interesse" zur Kündigung noch hinaus gehen und an die Gründe heranreichen, die die Beendigung des Mietverhältnisses aus seiner Sicht berechtigterweise als geradezu notwendig erscheinen lassen.
Ein entsprechend hohes Erlangungsinteresse könnte die Klägerin aber nicht geltend machen, da die von ihr berechtigte Eigennutzung der Wohnung zum einen nicht auf eine ganzjährige Nutzung und zum anderen auf bloßen Komfortzuwachs und die Vermeidung unerheblicher wirtschaftlicher Nachteile gerichtet sei.
Veröffentlicht von Herrn Rechtsanwalt Rüdiger Knechten am 15.03.2019